Pressetext
„Ich verstehe meine Gemälde als eine Summierung von Strukturen. Eine Sedimentation hauchdünner Schichten. Nur in äußerster Verzweiflung entsteht eine dicke Schicht. Im Prinzip eine endlose Ablagerung. Doch es ist auffällig, daß die darunterliegende Struktur immer durchbricht, auch wenn eine neue Schicht ein ganz anderes Motiv und eine ganz andere Farbe hat."
Per Kirkeby, Bravura, Bern - Berlin 1984, S. 186.
Mit der Einzelausstellung „Übermalungen“ des dänischen Künstlers Per Kirkeby (1938 – 2018) präsentiert die Galerie Michael Werner, Berlin eine umfangreiche Auswahl von 27 Bildern dieser besonderen Werkgruppe. Bereits Mitte der 1960er Jahre beginnt Kirkeby mit Übermalungen zu experimentieren. In dieser frühen Phase hinterfragt der Künstler die Vorstellung von Originalität und beschäftigt sich mit dem Thema Erinnerung.
Kirkeby übermalt die unterschiedlichsten Materialien, unter anderem Reproduktionen romantischer Gemälde, Pornografie und Amateurbilder. Die Gemälde sind meist Fundstücke, die Freunde des Künstlers auf Flohmärkten erwerben, nie wählt Kirkeby selbst die Sujets der Übermalungen aus. In dieser Ausstellung sind Werke aus der späteren Phase der 1980er und 2010er-Jahre zu sehen. Sie greifen das Thema früherer Bilder wieder auf und bilden Teil einer fortlaufenden Reihe.
Per Kirkebys unmittelbares Interesse an vielschichtigen Strukturen offenbart sich in seiner professionellen Ausbildung als Geologe und zieht sich bis in seine malerische Praxis. Vor allem in den Übermalungen ist eine Parallele zwischen dem Metier des Geologen und den formal-inhaltlichen Aspekten der Bilder zu erkennen.
In den Übermalungen konfrontiert Kirkeby den Betrachter mit zwei unterschiedlichen Bildern – zum einen die bildliche Vorlage und zum anderen mit einem darüber neu entstandenen Werk. Besonders ist dabei Kirkebys Umgang mit dem Original; im Vordergrund steht nicht die Zerstörung des Gemäldes, vielmehr beruht Kirkebys malerische Praxis in der Fortführung des vorhandenen Bildmaterials. Sein Anspruch liegt in der Erkundung des Sujets. Kirkeby sucht nach alternativen Strukturen innerhalb der Vorlagen und bringt seine eigenen Erinnerungen und Erfahrungen in den Prozess mit ein.
Die Übermalungen unterteilt Per Kirkeby in zwei Kategorien. Synchrone Bilder verzeichnen nur leichte Veränderung der Formen, manchmal ist das Original nur mit feinen Pinselstrichen übermalt, andere Male durchbricht nur ein Farbklecks die Idylle des Gemäldes. In den unsynchronen Bildern ist die Malerei oftmals so dicht, dass die Vorlage kaum noch erkennbar ist. Das ursprüngliche Bild verschwindet hinter einer Ansammlung von Schichten, in einigen Fällen geht der Eingriff so weit, dass ein Hochformat zu einem Querformat wird, oder umgekehrt.
In ihrer Gesamtheit ergeben die Bilder eine Ansammlung dünner Schichten über dem ursprünglichen Gemälde. Als Betrachter ist man immer versucht, die Struktur der Übermalung zu dechiffrieren und die Vorlage darunter wiederzuerkennen. Das Prinzip der endlosen Ablagerung bezieht sich nicht nur auf die unterschiedlichen malerischen Schichten, sondern vor allem auf eine ursprüngliche, fremde Schicht die physisch erhalten bleibt. Aus der Suche nach bedeutungsvollen Strukturen und Formen im ursprünglichen Motiv und den darüber neu entstandenen Schichten, konstruiert Per Kirkeby eine neue Wirklichkeit.
Werke von Per Kirkeby befinden sich in vielen institutionellen Sammlungen weltweit, darunter in der Tate in London, im Centre Pompidou in Paris, im Metropolitan Museum of Art in New York und im Museum of Modern Art in New York, um nur einige zu nennen. Wichtige museale Einzelausstellungen fanden in der Tate Modern, London, im Museum Ludwig, Köln, im Louisiana Museum of Modern Art, Humlebaek, in der Whitechapel Art Gallery, London, im BOZAR Van Abbemuseum, Eindhoven, im Centre for Fine Arts, Brüssel, und im Beaux-Arts de Paris statt. 2020 wurde im Louisiana Museum of Modern Art eine Ausstellung der Bronzeskulpturen des Künstlers gezeigt.